Von Dr. med. Dilan Sinem Sert, Gründerin und Geschäftsführerin SEDIWORK
Die moderne Gesundheitsbranche befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden Wandel, der nicht nur medizinische Fortschritte, sondern auch innovative digitale Technologien umfasst. Die Digitalisierung, wie wir sie heute erleben, bedeutet nicht einfach nur die Umstellung manueller Prozesse auf digitale Methoden. Sie verändert vielmehr unsere gesamte Arbeitswelt.
Ein Bereich, der bisher oft manuell und zeitaufwändig organisiert wurde, betrifft die Rotationsplanung für Ärzte in Kliniken. Die Einführung einer cloudbasierten, intelligenten Rotationsplanung verspricht nicht nur eine Steigerung der Effizienz, sondern auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Kliniken und eine erhebliche Verbesserung der Arbeitszufriedenheit der Ärzte – ein Konzept, das die Philosophie von „New Work“ im Gesundheitswesen zum Leben erweckt.
Inmitten der Diskussion über die Revolution der ärztlichen Weiterbildung und die Implementierung von „New Work“, also das Umsetzen einer neuen Arbeitsumgebung im Gesundheitswesen, ist es entscheidend, die fundamentale Bedeutung ärztlicher Tätigkeiten für das Wohl der Gesellschaft hervorzuheben. Der Arztberuf selbst ist ein zentraler Pfeiler der Gesundheitsversorgung und seinerzeit schon immer mehr als nur ein Job gewesen. Er dreht sich um das Wohl und die Heilung von Patienten.
Schauen wir uns die Arbeitswelt des Arztes an, beobachten wir, dass in den letzten Jahren die Bürokratie in der Medizin zugenommen hat, was das Leistungspotential von Ärzten erheblich hemmt. Um den medizinischen Fortschritt voranzutreiben und die bestmögliche Versorgung für Patienten sicherzustellen, ist eine Entbürokratisierung des Arztberufs unumgänglich.
Warum ist das so wichtig? Weil Ärzte sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren sollten: Die Medizin, die Behandlung und die Versorgung von Patienten. Wenn sie ihre Zeit und Energie mit organisatorischen und bürokratischen Angelegenheiten verbringen müssen, geht wertvolle Zeit verloren, die stattdessen der Patientenversorgung gewidmet werden könnte. Ein Arzt, der sich in einem Dschungel von Formularen und administrativen Aufgaben verliert, kann nicht sein volles Potenzial in der medizinischen Praxis entfalten.
Dies führt nicht nur bei den Ärzten zu großer Frustration, sondern hat auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf viele Kliniken. Ärzte generieren einen beträchtlichen Teil des Umsatzes in vielen medizinischen Einrichtungen und sind gleichzeitig für über 60% der Gesamtausgaben verantwortlich. In Anbetracht der wirtschaftlichen Dimension des Gesundheitswesens ist es von entscheidender Bedeutung, dass Ärzte äußerst fokussiert eingesetzt werden und sich auf ihre klinische Expertise konzentrieren können. Daher ist es besonders wichtig, in rein administrativen Aufgaben, die keine menschliche Interaktion
erfordern, auf digitale Lösungen zurückzugreifen, um menschliche Arbeitskraft effizienter einzusetzen.
Eine weitere wichtige Aufgabe der Ärzte besteht darin, die nächste Generation von Medizinern effektiv auszubilden. Nur durch hervorragende Ausbildung können wir in Deutschland im globalen Vergleich zukünftig Spitzenmedizin bieten. Ärzte sollten nicht nur in medizinischer Hinsicht, sondern auch ethisch und moralisch ausbilden, um sicherzustellen, dass die ärztlichen Werte und die hohe Qualität der Versorgung erhalten bleiben.
Wenn wir uns also entscheiden ökonomisch zu denken und zu handeln, müssen wir uns auch dazu entscheiden die hochwertige Ressource der ärztlichen Tätigkeit sinnvoll einzusetzen. Das erhöht nicht nur die Produktivität, die die Kliniken dringend brauchen, sondern sorgt auch dafür, dass unsere Ressourcen ethisch eingesetzt werden können. Auf diese Weise kann das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Wettbewerb weiterhin die Vorreiterrolle übernehmen, indem sie zeigt, dass eine hochwertige Patientenversorgung und der Schutz der Gesundheit Vorrang haben.
In diesem Sinne ist die Entbürokratisierung des Arztberufs ein wesentlicher Schritt in Richtung einer Gesundheitsversorgung, die auf exzellenter Patientenbetreuung und medizinischer Spitzenleistung basiert. Es ist an der Zeit, die wahre Berufung der Ärzte wieder ins Zentrum zu rücken und sicherzustellen, dass ihre Arbeit ausschließlich dem Wohl der Patienten dient.
Ein Bereich, der bisher manuell verwaltet wird, betrifft die Rotation der Ärzte. Ärzte wechseln zwischen den verschiedenen Abteilungen einer Klinik, um die erforderlichen Fähigkeiten für ihre Facharztweiterbildung zu erlangen. Wenn wir uns die Perspektive eines Chefarztes vorstellen, der die anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe hat, die Rotationsplanung in seiner Klinik zu organisieren, wird deutlich, welche Herausforderungen bisher bestehen und wie dringend innovative Lösungsansätze benötigt werden.
Aktuell erfolgt die Planung manuell und erfordert die Berücksichtigung einer Vielzahl komplexer Faktoren. Dazu gehören nicht nur die verschiedenen Rotationsbereiche wie Intensivstationen, Funktionsabteilungen und Operationssäle, sondern auch die präzise Koordinierung der Kapazitäten, die Verwaltung der Kooperationen mit anderen Kliniken, die Berücksichtigung individueller Weiterbildungsermächtigungen, die Anpassung an klinikinterne Lehrpläne und die sorgfältige Organisation von externen Rotationsmöglichkeiten. Besonders für Letzteres erfordert dies einen hohen Kommunikationsaufwand zwischen den Kliniken. Hinzu kommen die Erfahrung, bisherige Fähigkeiten und die persönlichen Präferenzen der rotierenden Ärzte, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen.
Die hohe Komplexität dieser Aufgabe erfordert einen erheblichen Zeitaufwand, der die Aufmerksamkeit der Ärzte von ihren klinischen Tätigkeiten ablenkt. Im Durchschnitt widmet ein Chefarzt etwa 20 Stunden im Monat allein der Planung der Rotationen. Oft wird diese zeitaufwändige Aufgabe an einen kostspieligen Oberarzt für Personalfragen delegiert, der ebenfalls wertvolle Ressourcen für diese administrativen Aufgaben aufbringen muss. Dies hat
nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern beeinträchtigt auch die nahtlose Versorgung der Patienten und mindert die Arbeitszufriedenheit der Ärzte.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass es keine effektive Koordination zwischen den verschiedenen Kliniken und Standorten gibt. Jede Abteilung erstellt ihren eigenen Plan, der lokal gespeichert wird, und es fehlt an geeigneten Berechtigungssystemen für eine kooperative Zusammenarbeit über Klinikgrenzen hinweg. Die Tatsache, dass lokale, unverschlüsselte Dokumente keine angemessene Datensicherheit bieten, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Die mangelnde Abstimmung zwischen den Kliniken führt zu Ineffizienzen und behindert die nahtlose Zusammenarbeit zwischen den Kliniken. Dies macht die Patientenversorgung unnötig kompliziert und langsamer. Besonders in einer Zeit, in der Kliniken sich zunehmend spezialisieren und sich gleichzeitig in Verbünde zusammenschließen, ist eine digitale Vernetzung unerlässlich. Das Zusammenführen von Fachkompetenzen einerseits und von Personalressourcen andererseits sind entscheidende Schritte in Richtung zukunftsfähiger Klinikstandorte.
Auch das Management von Personalausfällen gestaltet sich schwierig. Sobald ein Arzt ausfällt, ist eine vollständige Neuplanung erforderlich, was zu erheblichen Verzögerungen führen kann. In einer so dynamischen Umgebung wie einer Klinik können solche Verzögerungen erhebliche Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben.
In vielen Kliniken besteht die Herausforderung darin, dass die Mitarbeiter nur begrenzte Informationen über die Erfahrungen und Kompetenzen ihrer ärztlichen Kollegen haben. Dies führt zu Schwierigkeiten bei der gezielten Zuweisung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf Grundlage der individuellen Fähigkeiten und Expertise der Ärzte. Mit anderen Worten, der Einsatz von Ärzten basierend auf ihren spezifischen Kompetenzen ist eine wichtige Angelegenheit, die nicht ausreichend bewältigt wird.
Der Mangel an Transparenz über die beruflichen Hintergründe und Qualifikationen der Ärzte innerhalb der Klinik kann zu ineffizienten Arbeitsabläufen führen. Es kann dazu führen, dass Ärzte Aufgaben übernehmen, für die sie möglicherweise nicht optimal qualifiziert sind, während andere Mitarbeiter mit geeigneterem Fachwissen möglicherweise nicht in Betracht gezogen werden. Dies wiederum kann die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigen und die Ressourcen der Klinik ineffizient nutzen.
Eine effektive Lösung dieses Problems erfordert die Einführung von Systemen oder Plattformen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, schnell und einfach auf Informationen über die Qualifikationen, Erfahrungen und Fähigkeiten ihrer Kollegen zuzugreifen. Eine solche Transparenz würde es den Kliniken ermöglichen, das Potenzial ihrer Ärzte besser auszuschöpfen, die Zuweisung von Aufgaben zu optimieren und sicherzustellen, dass jeder Arzt in seiner Fachkompetenz eingesetzt wird. Dies könnte nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung verbessern und die Zufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen.
Die Lösung für all diese komplexen Herausforderungen liegt in einer intelligenten, cloudbasierten Rotationsplanung. Innovative Software ermöglicht es, sämtliche relevanten Faktoren mithilfe von leistungsstarken Algorithmen zu berücksichtigen und Rotationsvorschläge für Ärzte und Kliniken zu generieren.
Die Grundidee dieses innovativen Ansatzes besteht darin, Kliniken digital miteinander zu vernetzen. Jede Klinik wird durch einen digitalen Vertreter, einen sogenannten digitalen Zwilling, repräsentiert. Dieser umfasst sämtliche Informationen zur Klinikstruktur, den Rotationsbereichen, Kapazitäten und ermöglicht den Ärzten, ihre Präferenzen und beruflichen Wünsche direkt in die Anwendung einzugeben. Diese Informationen werden in den Algorithmus integriert, um optimale Rotationsvorschläge zu generieren – nicht nur innerhalb einzelner Kliniken, sondern auch klinikübergreifend.
Ein großer Vorteil dieses innovativen Ansatzes liegt in seiner Anpassungsfähigkeit an Ausfälle und Veränderungen. Ob es sich um kurzfristige Krankheitsausfälle oder mittelfristige Forschungsprojekte handelt, die Software kann diese Informationen berücksichtigen und alternative Pläne erstellen. Diese Flexibilität minimiert Auswirkungen auf die Patientenversorgung und vereinfacht die Planung für alle Beteiligten.
Die Einführung einer smarten Rotationsplanung markiert insgesamt einen wichtigen Schritt hin zu einer „New Work“-Philosophie im Gesundheitswesen. Sie fördert die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken, sichert die Qualität der ärztlichen Weiterbildung und die der medizinischen Versorgung und steigert insgesamt die Arbeitszufriedenheit. Durch die Digitalisierung und Automatisierung administrativer Prozesse erhalten Ärzte mehr Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe an ihrer beruflichen Entwicklung.
In Zukunft wird der personalplanende Oberarzt nicht mehr durch bürokratische Tätigkeiten gebunden sein, sondern kann sich darauf konzentrieren, seine eigenen und die individuellen Potenziale seiner Mitarbeiter zu entfalten. In dieser Schlüsselrolle kennt er die Fähigkeiten seiner Ärzte genau und kann sie dabei unterstützen, sich weiterzuentwickeln. Dies ist ein Kernprinzip von „New Work“ – die gemeinsame Gestaltung der Karriere und die aktive Förderung der beruflichen Entwicklung durch sinnvolle Nutzung digitaler Technologien. Dies führt dazu, dass die Mitarbeiter eine starke Bindung zu ihrem Arbeitgeber entwickeln und bereit sind, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, da sie erkennen, dass ihr Arbeitgeber auch einen extra Schritt für sie geht.
Dieser Ansatz hat das Potenzial, die gesamte Personalplanung zu revolutionieren und damit die Prinzipien von New Work im Gesundheitswesen zu verwirklichen. Die Neugestaltung der ärztlichen Rotationen ist daher nicht nur ein technologischer Fortschritt, sondern ein bedeutender Schritt hin zu einer modernen und effizienten Gesundheitsversorgung, die sowohl den Bedürfnissen der Ärzte als auch der Patienten gerecht wird.